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Ein attraktiver ÖPNV ist ein wesentlicher Pull-Faktor für die Verkehrswende. Die Attraktivität zeichnet sich u.a. durch die Faktoren Preis, Erreichbarkeit, Sicherheit, Komfort, Taktung und Zuverlässigkeit aus. Unabdingbar verknüpft mit der Attraktivität für die Fahrgäst:innen ist die Attraktivität für die Angestellten des ÖPNV: Nur wenn dieser als Arbeitsplatz attraktiv und das Personal nicht überlastet wird, kann der ÖPNV-Ausbau mit häufigeren Verbindungen in einem engeren und großflächigeren Netz funktionieren.

Preisliche Attraktivität

Die Einführung des 9-Euro-Tickets im Juni 2022 war eine Quick-Win-Maßnahme: Sie hat gezeigt, dass die Reduktion der Ticketpreise und die Vereinfachung des Tarifsystems ein Hebel ist, mit dem die Attraktivität des ÖPNV sofort deutlich erhöht werden kann. Laut einer Umfrage des HVV ersetzten 12% der Fahrten mit dem 9-Euro-Ticket Fahrten mit dem Auto, das entspreche mehreren Millionen eingesparten Autofahrten pro Monat [1]. Infolgedessen ist das Stauniveau in der Stauhauptstadt Hamburg zu Stoßzeiten um 20% zurückgegangen [2]. Die ZEIT hat eine stadtteilgenaue Datenanalyse vornehmen lassen, die ergab, dass der Autoverkehr werktags in 35 der 37 der Hamburger Stadtteile abnahm, meist im einstelligen Prozentbereich, manchmal etwas mehr [3]. Auch das 49-Euro-Ticket, das als Nachfolgeticket des 9-Euro-Tickets eingeführt wurde, erwies sich in Hamburg als Erfolg: Laut einer Umfrage unter jeweils 500 Abonnent:innen aus Hamburg und aus dem Umland fuhren diese 24% ihrer Wege jetzt mit dem ÖPNV statt mit dem Auto [4]. Ein kostengünstiger ÖPNV kann zudem als Ausgleich zu den gestiegenen Lebenshaltungskosten dienen.

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Abbildung 1: Der Hamburger Verkehrsverbund hvv führte eine Marktforschung zur Nutzung des 9-Euro-Tickets durch. Für 12% der Fahrten wäre ohne das 9-Euro-Ticket ein Pkw genutzt worden. Quelle: BVM HH auf Twitter

Attraktivität von Netzanbindung, Taktung und Reisezeit

Die Preisreduktion allein reicht für eine Steigerung der Attraktivität des ÖPNV jedoch nicht aus: Der ÖPNV muss aus Fahrgastsicht, insbesondere in den Randbezirken, besser erreichbar sein, die Frequenz der Verbindungen muss erhöht werden, sie müssen zuverlässiger werden und die Reisezeit sollte möglichst kürzer sein als mit die mit dem Auto. 

Die tatsächliche Reisezeit mit dem ÖPNV setzt sich aus der Wegzeit vom Startort zur Starthaltestelle, der Wartezeit auf das Verkehrsmittel, der Fahrzeit zur Zielhaltestelle und der Wegzeit von der Zielhaltestelle zum Zielort zusammen. Die Gesamtreisedauer eines Verkehrsmittels ist besonders für regelmäßige Nutzer:innen wie Pendler:innen ein wichtiges Kriterium bei der Verkehrsmittelwahl. Der Anteil der Pendelverkehre nimmt seit Jahren stetig zu (siehe Abbildung). Drei Viertel der Pendelnden fahren mit dem Auto [5]. Die Wegzeit zur Starthaltestelle und die Wartezeit auf das Verkehrsmittel kann durch gut erreichbare ÖPNV-Haltestellen, von der in enger Taktung Bahnen oder Busse abfahren minimiert werden. Ein wichtiger Faktor für die Wartezeit ist die Zuverlässigkeit der Anbindungen , d.h., dass die Bahnen und Busse auch tatsächlich fahren und dass sie pünktlich sind. Viele Bus- und Bahnfahrten entfallen jedoch, aufgrund von Personalmangel oder -ausfall, u.a., weil das Personal überlastet ist [6] [7]. Auch die Geschwindigkeit, mit der man sich mit einem Verkehrsmittel durch die Stadt bewegt, spielt eine wichtige Rolle für die Attraktivität des ÖPNV. Momentan dauert dies im Durchschnitt 2,24 mal so lange mit dem ÖPNV als mit dem PKW (siehe Abbildungen unten) [8].

Abbildung oben: Reisezeitindex des ÖPNV im Vergleich zum Auto für verschiedene deutsche Großstädte. In Hamburg ist der ÖPNV im Durchschnitt 2,24 mal langsamer als das Auto.
Andere Abbildung: Karte Hamburgs mit lokalen Reisezeitindizes mit Startpunkt Jungfernstieg. Von Hamburgs Zentrum aus kann der ÖPNV in fast alle Richtungen nur direkt entlang der Schienenachsen mit dem Auto mithalten. Ziele ohne U- und S-Bahn-Anschluss sind mit dem Auto deutlich schneller zu erreichen. Zu den weniger dicht besiedelten Gebieten im Süden der Stadt ist der ÖPNV aufgrund der dort geringen Flächenerschließung des Busnetzes besonders langsam. Hier müssen die Menschen zu den Haltestellen längere Fußwege zurücklegen. Quelle: MIB Mobility GmbH

Ziel sollte sein, dass die Fahrt mit dem ÖPNV schneller geht als mit dem Auto. Hier spielt neben der Erreichbarkeit der Haltestellen und der Wartezeit an den Haltestellen auch die durchschnittliche Geschwindigkeit, mit der sich die Verkehrsmittel durch die Stadt bewegen, eine wichtige Rolle. Hinsichtlich der Häufigkeit der Anbindungen ist Hamburg mit dem Hamburg-Takt, der bis 2030 u.a. einen ganztägigen 5-Minuten-Takt im S-Bahnnetz, eine Verdopplung der Busnetz-Betriebsleistung und die Einführung von On-Demand-Shuttle-Diensten vorsieht [9], grundsätzlich auf einem guten Weg. Eine Möglichkeit, die Geschwindigkeit, mit der man sich mit dem ÖPNV durch die Stadt bewegen kann, kurzfristig zu erhöhen, ist die Umwidmung von Fahrspuren auf mehrspurigen Hauptstraßen zu Busspuren. Die Busse sollten auf diesen Spuren mit „grüner Welle“ fahren, d.h., Ampeln an Kreuzungen sollten für sich nähernde Busse automatisiert auf grün schalten.

Geschwindigkeit des Netzausbaus

Eine Möglichkeit, dies mittelfristig zu erreichen und zudem die Netzabdeckung und die Fahrgastkapazitäten deutlich zu erhöhen, ist die Einführung eines Straßenbahnnetzes, wie es z.B. eine Studie vorschlägt, die im Auftrag der Fraktion der Linken in der Hamburgischen Bürgerschaft durchgeführt wurde [10]. Die Autoren schlagen als Alternative zur geplanten Linie U5 ein Straßenbahnnetz mit 109 ebenerdigen Haltestellen auf 53 km Länge vor. Mit seinen sieben Knotenpunkten würde es es weitere Stadtbereiche anbinden, sich an den tatsächlichen Fahrgastbewegungen orientieren, bis 2030 in Betrieb gehen, leicht zu erweitern sein und nur einen Bruchteil der U5 kosten [11]. Die Autoren der Studie kritisieren die Fokussierung des Hamburger Senats auf milliardenschwere Projekte wie das der U5 mit jahrzehntelanger Bauzeit, während der Unmengen von CO2 emittiert würden [12] [13]. Auch der Klimabeirat Hamburg fordert daher bei der U5 und anderen Infrastrukturprojekten, wie der A26-Ost, „eine sachgerechte und transparente Abwägung der Klimaschutzbelange sicher zu stellen. Dabei sollten die Emissionen der Infrastrukturprojekte für ihren gesamten Lebenszyklus ermittelt und einbezogen werden“, einschließlich ihrer Bauphase und ihres Rückbaus [14]. Zudem muss der ÖPNV so schnell, so effizient und so klimaschonend wie möglich ausgebaut werden. Beim Bau der U5 und ihren 24 Stationen auf 25 km Länge werde jedoch die „zeitaufwändigste, wenig effektive und teuerste Möglichkeit gewählt“ [15].

Attraktivität für die Angestellten des ÖPNV

Laut ver.di fehlen bereits jetzt bundesweit 80.000 Beschäftigte beim ÖPNV. Die harten Arbeitsbedingungen führten dazu, dass viele ihren Arbeitsplatz kündigten. Die Unterbesetzung und teilweise hohe Krankenstände erhöhten den Druck auf die verbliebenen Beschäftigten. Dabei gebe es in Deutschland über 200.000 Menschen mit einem Busführerschein. Mehr Beschäftigte kämen nur dann zum ÖPNV, wenn die Arbeitsbedingungen zumutbarer und attraktiver würden, so Christine Behle, stellvertretende Vorsitzende von ver.di [16]. Ver.di und Fridays For Future haben daher die gemeinsame Kampagne #WirFahrenZusammen für den Ausbau des ÖPNV, bessere Arbeitsbedingungen, angemessene Bezahlung und mehr Personal sowie eine dafür ausreichende Finanzierung durch Kommunen, Länder und den Bund gestartet [17].

Finanzierung

Der ÖPNV-Ausbau sollte wie die niedrigere Preis durch Einpreisung aller durch den Autoverkehr verursachten sozialen und ökologischen Kosten geschehen und in Form einer City-Maut und einer Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung für öffentliche und Parkplätze sowie die Einführung einer Bewirtschaftung für betriebliche Parkplätze finanziert werden. Eine City-Maut und eine höhere Parkraumbewirtschaftung in zentralen Gebieten mit guter ÖPNV-Anbindung könnte die Anbindung dünn besiedelter Gebiete am Stadtrand durch z.B. On-Demand-Shuttles finanzieren, die sich ansonsten nicht ökonomisch rechnen würden. Der Deutsche Städtetag plädiert dafür, Instrumente wie eine City-Maut oder eine Nahverkehrsabgabe durch Arbeitgebende zur Finanzierung des ÖPNV und des Radverkehrs zu erproben und Städten die Freiheit zu geben, über die Einführung solcher Instrumente selbst zu entscheiden [18]. Die City-Maut-Initiative Berlin, an der u.a. die Mobilitätsexperten Andreas Knie und Weert Canzler beteiligt sind, hat ein Konzept für einen Modellversuch zur Erprobung einer City-Maut für Berlin, deren Einnahmen der Finanzierung des ÖPNV dient, vorgelegt [19] [20],

Forderungen

  • Das D-Ticket muss beibehalten und darf nicht teurer werden als 49 Euro. Die in Hamburg angeboten Vergünstigungen sollten beibehalten und weiter ausgeweitet werden. Deutschland- und hvv-Tickets müssen in den Hamburger Randbezirken auch für die On-Demand-Shuttle-Systeme gelten. Die Finanzierung sollte über Parkgebühren, Arbeitgeberabgaben für Parkplätze und eine City-Maut erfolgen.
  • Um das Angebot für Pendelnde kurzfristig zu verbessern, müssen durch Fahrbahnumwidmungen ein Netz aus Schnellbusverbindungen eingerichtet werden, welches das bestehende U- und S-Bahn-Netz sinnvoll ergänzt.
  • Mittelfristig sollte ein großflächiges, auch für Pendelnde in Gebieten am Stadtrand ohne S- und U-Bahn-Verbindung attraktives Straßenbahnnetz eingerichtet werden.
  • Wir unterstützen die Forderungen der Kampagne #WirFahrenZusammen von ver.di und Fridays for Future nach guten Arbeitsbedingungen, mehr Personal und einem bundesweiten Investitionsprogramm von mind. 16 Mrd.€ pro Jahr bis 2030.
  • Die Barrierefreiheit, die Sicherheit und der Komfort in Fahrzeugen und an Haltestellen des ÖPNV muss verbessert werden, um seine Nutzung für möglichst alle attraktiv(er) zu machen.

Quellen

  1. „9-Euro-Ticket“, hamburg.de, zugegriffen am 12. August 2022, https://www.hamburg.de/bvm/medien/16388304/2022-08-02-bvm-neun-euro-ticket/. ↩︎
  2. BMDV [@bmdv], „Seit der Einführung des #9EuroTicket​s hat sich der Stau in 23 von 26 untersuchten Städten reduziert – das zeigt eine Analyse des Verkehrsdatenspezialisten Tomtom. Besonders stark fiel die Verbesserung in Hamburg aus: Hier sank das Stauniveau sogar um 20 Prozent! https://t.co/iXvRHlrgDs“, Tweet, Twitter, 8. Juli 2022, https://twitter.com/bmdv/status/1545353465857179648. ↩︎
  3. Frank Drieschner, „Nahverkehr: Was bringt das 9-Euro-Ticket?“, Die Zeit, 28. Juli 2022, Abschn. Hamburg, https://www.zeit.de/2022/31/9-euro-ticket-nahverkehr-tomtom-pruefung.↩︎
  4. Dey, Andreas: HVV: 49-Euro-Ticket boomt in Hamburg weiter – so viele steigen vom Auto um. https://www.abendblatt.de/hamburg/kommunales/article238928217/49-Euro-Ticket-boomt-weiter-so-viele-steigen-vom-Auto-um.html, Datum des Zugriffs: 10.09.2023.↩︎
  5. Tafel der „Ausstellung zur Mobilität“ der Behörde für Verkehr und Mobilitätswende, 17. Mai bis 6. Juni 2023 im Rathausfoyer der Stadt Hamburg↩︎
  6. Verkehrswende: Bus und Bahn – Fahrtausfälle wegen Krankheit. https://www.zdf.de/uri/57fba2f7-d7ec-48e3-ba55-178708f3811b, Datum des Zugriffs: 01.10.2023.↩︎
  7. NDR: Personalengpässe im ÖPNV: Zahlreiche Zugausfälle in SH. https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Personalengpaesse-im-OePNV-Zahlreiche-Zugausfaelle-in-SH,zugausfaelle138.html, Datum des Zugriffs: 01.10.2023.↩︎
  8. Wilhelm, Nico: Reisezeitindex. In: mib | Mobility Institute Berlin, https://mobilityinstitute.com/impulse/reisezeitindex, Datum des Zugriffs: 10.09.2023..↩︎
  9. „Umfassender Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs in Hamburg“, hamburg.de, zugegriffen 2. August 2022, https://www.hamburg.de/pressearchiv-fhh/13330346/2019-12-11-skbwvi-ausbau-nahverkehr/.↩︎
  10. Christoph Rybaczyk und Jens Meyer-Wellmann, „HVV: Neue U-Bahn in Hamburg? ‚Stadtbahn ist der U5 deutlich überlegen‘“, 15. Juni 2022, https://www.abendblatt.de/hamburg/article235632531/hvv-hamburg-verkehr-u5-u-bahn-stadtbahn-stationen-strecke-klima.html.↩︎
  11. „DIE LINKE. Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft | Stadtbahn vs. neue U-Bahnlinie“, S. 3.↩︎
  12. André Zuschlag, „Bau der U5 in Hamburg: Unterirdisch schlecht“, Die Tageszeitung: taz, 4. Oktober 2021, Abschn. Nord, 5, https://taz.de/!5801419/.↩︎
  13. Jens Meyer Wellmann und Christoph Rybarczyk, „HVV Hamburg: U5-Kritiker sprechen von ‚verheerender‘ Klimabilanz“, 22. Mai 2022, https://www.abendblatt.de/hamburg/article235405841/hvv-hamburg-u5-co2-hat-die-neue-u-bahn-linie-eine-verheerende-klimabilanz.html.↩︎
  14. Klimabeirat Hamburg, „Einbeziehung der Treibhausgasemissionen bei öffentlichen Infrastrukturprojekten“, hamburg.de, 8. Februar 2022, https://www.hamburg.de/klima/15015244/hamburger-klimabeirat/.↩︎
  15. „DIE LINKE. Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft | Stadtbahn vs. neue U-Bahnlinie: Fährt die U5 am Bedarf vorbei?“, S. 3, zugegriffen 2. August 2022, https://www.linksfraktion-hamburg.de/studie-belegt-u5-faehrt-am-bedarf-vorbei-strassenbahn-erreicht-mehr-fahrgaeste-ist-schneller-gebaut-und-spart-mrd-euro-kosten/.↩︎
  16. ÖPNV: ver.di und FFF fahren zusammen für Mobilitätswende. https://www.verdi.de/themen/politik-wirtschaft/++co++924118e6-9d39-11eb-84f5-001a4a16012a, Datum des Zugriffs: 01.10.2023.↩︎
  17. Wir fahren zusammen | FFF x ver.di | ÖPNV. In: Wir fahren zusammen, https://www.wir-fahren-zusammen.de, Datum des Zugriffs: 01.10.2023.↩︎
  18. Deutscher Städtetag: Städte sollen Instrumente zur Verkehrslenkung erproben können: Deutscher Städtetag. https://www.staedtetag.de/presse/pressemeldungen/city-maut-instrumente-zur-verkehrslenkung-erproben, Datum des Zugriffs: 21.10.2023.↩︎
  19. Knie, Andreas/Canzler, Weert/Tech, Robin u. a.: City-Maut-Initiative Berlin (2021). https://www.klimareporter.de/images/dokumente/2020/10/CityMaut_Berlin_2021.pdf, Datum des Zugriffs: 21.10.2023↩︎
  20. Knie, Andreas/Canzler, Weert: Die Citymaut | oekom verlag. https://www.oekom.de/buch/die-citymaut-9783962382681, Datum des Zugriffs: 21.10.2023, S. 74–95.↩︎