Antwort auf die Forderungen der Handelskammer zum Bewohnerparken
Die Hamburger Handelskammer hat gefordert, dass die Ausweitung des Bewohnerparkens gestoppt wird, und zehn Forderungen gestellt [1]. Einige davon unterstützen wir, wie z.B. den Einbezug von Anlieger:innen in das Anwohnerparken – andere, wie z.B. die nach dem Stopp der Umwidmung von Parkplätzen, lehnen wir entschieden ab.
Hamburg kommt bei der Verkehrswende nicht voran: Die Emissionen im Verkehr sinken nicht, die Anzahl der angemeldeten Pkws steigt, sogar schneller als die Zahl der Einwohner [2]. Die stetig wachsende Zahl der Autos verschärft die Inanspruchnahme der öffentlichen Fläche durch Autos und bedeutet zunehmend weniger Platz für den Rad- und Fußverkehr, dessen Anteil am Modal Split zusammen mit dem des ÖPNV im Vergleich zum motorisierten Individualverkehr eigentlich auf ein Verhältnis von 80 zu 20 ansteigen soll [3] [4]. Um Radfahren und Zufußgehen attraktiver zu machen, benötigen diese Verkehrsformen jedoch deutlich mehr Platz. Zusätzliche Fläche wird für Maßnahmen zum Schutz vor durch den Klimawandel in Anzahl und Dauer zunehmenden Hitzewellen sowie häufiger auftretenden Starkregenereignissen benötigt. Hierfür muss z.B. durch Straßenbau versiegelte Fläche teilweise wieder entsiegelt werden, so dass sie Wasser aufnehmen kann, und um dort u.a. Bäume zu pflanzen, die die Stadt bei Hitze kühlen.
Parkraummanagement ist ein wesentlicher Hebel, um diese Ziele zu erreichen. Zum Parkraummanagement gehören Maßnahmen zur Bewirtschaftung und Steuerung der Art und des Umfangs der Bereitstellung von Parkraum.
- Parkraumbewirtschaftung dient zum einen dazu, alle durch den Autoverkehr verursachten Kosten einzupreisen, die direkten und indirekten. Indirekte Kosten sind z.B. Folgekosten von Unfällen und ökologischen Schäden, die durch den Autoverkehr verursacht werden, aber von allen und insbesondere von zukünftigen Generationen getragen werden, wie andere Klimaschäden auch. Zurzeit sind nicht einmal die direkten Kosten des Autoverkehrs eingepreist: 2021 wurden nur 35% der Kosten des Autoverkehrs von den Autofahrenden getragen, der Rest, ca. 45 Mrd. Euro, wurden staatlich subventioniert.[5] Dazu kommen über 104 Mrd. Euro Folgekosten Umwelt-, Gesundheits- und Klimaschäden [6]. Durch die Einbeziehung der externen Kosten kann Parkraumbewirtschaftung das Parken auf der Straße verteuern. Wenn die Einnahmen zweckgebunden verwendet werden, um die ÖPNV-, Rad- und Fußinfrastruktur zu verbessern, kann diese Maßnahme den Autoanteil am Verkehr wirksam senken und den Anteil des Umweltverbundes entsprechend erhöhen.
- Parkraumumwidmung ist ein Instrument, um den Straßenraum fairer zu verteilen und das Parken in Parkhäuser, Tiefgaragen und z.B. Park-and-Ride-Parkplätze zu verlagern. Die freigewordene Fläche kann z.B. für Verkehrsmittel des Umweltverbundes oder als Aufenthalts-/Freizeitfläche, für Außengastronomie verwendet bzw. entsiegelt und begrünt werden [7].
Zu den Forderungen der Handelskammer
Die Handelskammer fordert, das Bewohnerparken in Hamburg zu einem Anliegerparken nach dem Vorbild Wiens umzuwandeln, das neben Anwohnenden auch ansässigen Unternehmen ermöglich Ausnahmegenehmigung eine Parkerlaubnis zu erwerben. Wir unterstützen diese Forderung der Handelskammer. Da das Anwohnerparken bundesweit geregelt ist, bedarf es hierzu einer Reform der StVO.
Jedoch sollte Hamburg aus Gründen des Klimaschutzes und der Flächengerechtigkeit auch in anderen Bereichen dem Vorbild Wiens folgen: Laut Angaben von Angelika Winkler, Referentin für Mobilitätsstrategien in Wien, sind dort zurzeit zwei Drittel der öffentlichen Fläche für den fließenden oder ruhenden Autoverkehr vorbehalten, nur ein Drittel für die Verkehrsmittel des Umweltverbundes. Der Anteil des Autos im Modal Split beträgt jedoch nur 26%. Ziel der Stadt Wien ist es, das Verhältnis bis 2025 umzukehren und zwei Drittel dem Umweltverbund und ein Drittel dem Autoverkehr zu widmen [8] [9]. Die Zahlen für Hamburg sind ähnlich, auch hier liegt der Anteil des Autoverkehrs am Modal Split bei etwa einem Drittel [10]. Allein schon für eine fairere Flächenaufteilung sollte das Verhältnis Autoverkehr/Umweltverbund auch in Hamburg umgekehrt werden.
Die Stadt Hamburg sollte daher in einer Bundesratsinitiative nicht nur auf eine Novellierung der StVO in Bezug auf das Anwohnerparkens hinwirken, sondern darüber hinaus auf eine Reform, die den Kommunen mehr Spielraum für die Umsetzung von Klima- und Umwelt- und Gesundheitsschutzzielen ermöglicht, wie es bereits im Koalitionsvertrag vereinbart wurde: „Neben der Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs sollen die Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung berücksichtigt werden, um Ländern und Kommunen Entscheidungsspielräume zu eröffnen“ [11].
Ferner unterstützen wir die Forderungen der Handelskammer, bis zu dieser Reform leichter Ausnahmegenehmigungen zu erteilen und entsprechende Anträge schneller zu bearbeiten sowie die Anzahl der erteilten Bewohnerparkausweise zu deckeln. Bei letzterem ist Amsterdam ein gutes Vorbild, dort werden seit 2019 im Zentrum keine neuen Anwohnerparkausweise mehr vergeben; die Zahl der Anwohnerparkberechtigungen reduziert sich so jährlich um etwa 1.500. Auf diese Weise können bis 2025 bis zu 11.200 Parkplätze zu breiteren Gehwegen, Straßengrün oder Radwegen umgewidmet werden [12].
Die Handelskammer fordert zudem, mehr Haltemöglichkeiten außerhalb des öffentlichen Raumes sowie mehr ausschließliche Kurzzeitparkplätze in zentralen Einzelhandelslagen einzurichten. Wir finden, dass das private Parken grundsätzlich außerhalb des öffentlichen Raumes erfolgen sollte. Es gibt in Hamburg viele Parkhäuser, die oft nicht ausgelastet sind. Um stärkere Anreize für das Parken in Parkhäusern zu setzen, sollten die Tickets in Parkhäusern günstiger sein als die für das Straßenparken. Hamburg sollte hier den Weg gehen, den Paris genommen hat. Dort gibt es eine progressiv ansteigende Kurzzeitparkgebühr, die Parkgebühren steigen ab der dritten Stunde an, um einen Anreiz zu setzen, bei längeren Parkzeiten ein Parkhaus zu nutzen [13]. Die Zahl der Kurzzeitparkplätze sollte nicht erhöht werden, stattdessen sollte ein Teil der Parkplätze in Einzelhandelslagen in Lieferzonen für Gewerbetreibende umgewidmet werden.
Die Forderung der Handelskammer nach einer Wiedereinführung der Stellplatzpflicht bei Neubau von Wohnungen lehnen wir ab, denn das würde falsche Anreize für den Besitz und die Nutzung eines Autos setzen.
Entschieden lehnen wir die Forderung der Handelskammer ab, die Anzahl der Parkflächen in der Stadt nicht signifikant weiter abzusenken. Die Handelskammer schreibt: „Attraktive Alternativen zum Fahren eines eigenen PKWs (z.B. der Hamburg-Takt im ÖPNV) müssen angebotsorientiert umgesetzt sein, bevor der Parkraum schrittweise verringert wird – nicht umgekehrt!“ [14].
Diese Forderung ist doppelt unrealistisch.
Erstens ist sie unrealistisch, weil es in einer autodominierten Stadt wie Hamburg nicht möglich ist, die Verkehrsmittel des Umweltverbundes attraktiver zu machen, ohne dem Autoverkehr Platz wegzunehmen. Die Alternativen zum Pkw können nicht zuerst geschaffen und erst dann Parkplätze zurückgebaut werden, denn die parkenden Autos nehmen gerade den Raum weg, der benötigt wird, um die Alternativen attraktiver zu machen: Um sicher und barrierefrei zu sein, sollten Geh- und Radwege jeweils eine Breite von 2,5 m haben und voneinander und von der Straße durch eine physische Barriere getrennt sein [15]. Nicht nur muss Parkraum zurückgebaut werden, um den Fußverkehr attraktiver zu machen, auch das Gehwegparken muss konsequent geahndet werden, das zwar überall verboten ist, wo es nicht explizit erlaubt ist, aber vielerorts geduldet wird [16]. Die Stadt Karlsruhe ist hier mit gutem Beispiel vorangegangen [17] und Hamburg sollte hier nachziehen. Die Zone innerhalb von Ring 1 sollte autoarm werden und zu diesem Zweck für den motorisierten Individualverkehr gesperrt werden, während Handwerker:innen und Lieferverkehr, Busse, Stadtreinigung, Ärzt:innen und Rettungsfahrzeuge etc. weiter einfahren können sollen. Entgegen gängiger Meinung schadet eine solche Maßnahme der lokalen Wirtschaft nicht, sondern steigert in vielen Fällen ihren Umsatz [18].
Zweitens ist die Forderung unrealistisch, weil die Emissionen bereits in den kommenden Jahren signifikant sinken müssen und nicht erst, wenn der ÖPNV in vielen Jahren endlich flächendeckend ausgebaut und enger getaktet wurde.
Wir unterstützen die Forderung der Handelskammer nach mehr P+R-Parkplätzen in der Nähe von Autobahnabfahrten, um für mit dem Pkw Anreisende einen Anreiz zu schaffen, dort zu parken und sich innerhalb von Hamburg mit Bus und Bahn fortzubewegen. Bei P+R-Parkplätzen ist allerdings zu bedenken, dass deren Einrichtung zumindest Pendler:innen auch umgekehrt einen Anreiz zum Autofahren geben und so den Autoverkehr steigern kann, wie Untersuchungen in Rotterdam und Den Haag gezeigt haben [19]. Dies zeigt erneut, dass ein attraktives Angebot nicht ausreicht – das Autofahren an sich muss unattraktiver gemacht werden.
Die Forderung der Handelskammer, Parkflächen und Lade- und Lieferzonen in Hamburg digital zu erfassen und die Informationen öffentlich verfügbar zu machen, finden wir gut, da so unnötiger Parksuchverkehr vermieden werden kann.
Ebenso unterstützen wir die Forderung der Handelskammer nach einem Ausbau von Quartiersgaragen auch in Bestandsvierteln, wenn im Gegenzug die Parkplätze an den Straßen zurückgebaut werden. Dies ist bereits ein Kompromiss, denn es gibt kein Anrecht auf einen Parkplatz und es liegt nicht in der Verantwortung der Stadt, Parkraum für Autos bereitzustellen. Enrique Peñalosa, ehemaliger Bürgermeister von Bogotá, bringt es in der Dokumentation Urbanized auf den Punkt:
Quellen
- Meyer-Wellmann, Jens: Verkehr Hamburg: Anwohnerparken – jetzt rebelliert Hamburgs Wirtschaft. https://www.abendblatt.de/hamburg/article237843347/verkehr-hamburg-anwohnerparken-hamburg-handelskammer-fordert-ausbaustopp.html, Datum des Zugriffs: 09.03.2023.↩︎
- Meyer-Wellmann, Jens: Verkehr Hamburg: Zahl der Autos in der Stadt steigt wieder. https://www.abendblatt.de/hamburg/article236168123/verkehr-hamburg-keine-trendwende-zahl-der-autos-in-der-stadt-steigt-wieder-e-autos.html, Datum des Zugriffs: 17.08.2022.↩︎
- Mobilitätswende Hamburg: Es geht nicht nur um Radwege. In: Kloenschnack, https://kloenschnack.de/magazin-tipp/mobilitaetswende-hamburg-es-geht-nicht-nur-um-radwege/, Datum des Zugriffs: 13.03.2023.↩︎
- Mobilität in der Metropolregion Hamburg, Verkehr und Mobilität. In: Metropolregion Hamburg, https://metropolregion.hamburg.de/mobilitaet/, Datum des Zugriffs: 12.03.2023.↩︎
- statista: Kosten und Erlöse des Straßenverkehrs in Deutschland nach Fiskallogik 2021. In: Statista, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1265380/umfrage/kosten-und-erloese-des-strassenverkehrs-in-deutschland-nach-fiskallogik/, Datum des Zugriffs: 02.10.2022.↩︎
- Allianz pro Schiene: Was sind externe Kosten des Verkehrs? Fragen und Antworten. In: Externe Kosten des Verkehrs, https://www.allianz-pro-schiene.de/glossar/externe-kosten/, Datum des Zugriffs: 12.03.2023.↩︎
- Umweltbundesamt: Parkraummanagement für eine nachhaltige urbane Mobilität in der Stadt für Morgen. (2021), https://www.umweltbundesamt.de/en/publikationen/parkraummanagement-fuer-eine-nachhaltige-urbane, Datum des Zugriff: 15.03.2023 S. 25–26,↩︎
- 21. Stadtwerkstatt – Mobilitätswende für eine lebendige Innenstadt (Teil 2) 2022, https://www.youtube.com/watch?v=L66qWBSIPKI, Datum des Zugriffs: 15.03.2022↩︎
- Winkler, Angelika: Vorbild Wien: Warum es ohne Parkraumbewirtschaftung nicht geht, https://www.agora-verkehrswende.de/veranstaltungen/streitfall-parken/, ↩︎
- Mobilität in der Metropolregion Hamburg, Verkehr und Mobilität (vgl. Fn. 4).↩︎
- Koalitionsvertrag 2021. In: Die Bundesregierung informiert | Startseite, https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/koalitionsvertrag-2021-1990800, Datum des Zugriffs: 13.03.2023, S. 52.↩︎
- Randelhoff, Martin: Amsterdam reduziert bis 2025 die Zahl der Anwohnerparkausweise um 1.500 pro Jahr (insgesamt 11.200). In: Zukunft Mobilität, https://www.zukunft-mobilitaet.net/169960/urbane-mobilitaet/parken-in-amsterdam-bewohnerparkausweis-parkgebuehren-rueckbau/, Datum des Zugriffs: 14.08.2022.↩︎
- Randelhoff, Martin: Eine umfassende Parkraumreform bringt die Parkraumbewirtschaftung in Paris ins 21. Jahrhundert. In: Zukunft Mobilität, https://www.zukunft-mobilitaet.net/168157/analyse/paris-parkgebuehren-fps-bezahlen-parkraumbewirtschaftung-parkraumueberwachung-scan-streeteo-moovia/, Datum des Zugriffs: 11.03.2023.↩︎
- Handelskammer Hamburg, Kontakt: Bewohnerparken: Ausnahmen für Gewerbetreibende erleichtern. In: Handelskammer Hamburg, https://www.ihk.de/hamburg/servicemarken/presse/pressemeldungen/pm-09-03-2023-bewohnerparken-5738724, Datum des Zugriffs: 12.03.2023.↩︎
- GermanZero – Das 1,5-Grad-Gesetzespaket. https://germanzero.de/loesungen/1-5-grad-gesetzespaket, Datum des Zugriffs: 05.03.2022, S. 704–705.↩︎
- Rudolph, Dietmar: Parken auf Gehwegen | Problematik – Rechtslage – Handlungsbedarf, https://www.fuss-ev.de/images/Downloads/gehwegparken.pdf, Datum des Zugriffs: 15.03.2022, S. 16.↩︎
- Kompetenznetz Klima Mobil: Good-Practice-Beispiele im Handlungsfeld Parkraummanagement. https://www.klimaschutz-bewegt.de/wp-content/uploads/2021/11/Good-Practice-Beispiele_Handlungsfeld-Parkraummanagement-1.pdf, Datum des Zugriffs: 30.11.2022.↩︎
- vgl. Agora Verkehrswende: Parkraummanagement lohnt sich! https://www.agora-verkehrswende.de/veroeffentlichungen/parkraummanagement-lohnt-sich/, Datum des Zugriffs: 14.08.2022, S. 23.↩︎
- Randelhoff, Martin: Wie Park+Ride-Anlagen die Nutzung des Pkw fördern können. In: Zukunft Mobilität, https://www.zukunft-mobilitaet.net/15011/analyse/wirkung-park-and-ride-verkehr-openv-nutzung/, Datum des Zugriffs: 11.03.2023.↩︎
- Urbanized. In: Gary Hustwit, https://www.hustwit.com/urbanized, Datum des Zugriffs: 13.03.2023.↩︎